Denkanstoß | Lehrausbildung

Profi mit Kamm, Schere und Föhn

Draußen kann eine blasse Wintersonne nichts gegen die Kälte ausrichten, die unerbittlich durch die Breitenfurter Straße zieht. Hinter den Glasfronten im dritten Stock des ipcenters erwärmen rund ein Dutzend Föhns die Luft. In den Ohren rauscht es, in der Nase riecht es nach Shampoo und Haarspray. Nach jeder Mittagspause geht es hier mit neuem Elan ans Werk: Gleich zwei Gruppen der Überbetrieblichen Lehrausbildung zum:zur Friseur:in (Stylist:in) kämmen, föhnen, wickeln und locken heute Nachmittag die Haare ihrer Frisierköpfe, ihrer Kolleg:innen oder ihrer echten Kund:innen – Kund:innen wie mir.

Am Eingang in den Ausbildungsbereich, der sich über zwei große Räume erstreckt, nimmt mich Abdulbarri Abbas in Empfang. Wie ich später erfahre, ist der junge Mann mit den schwarzen Locken 24 Jahre alt. Dass er schon fast fertig mit der Lehre und kurz vor der Abschlussprüfung ist, braucht er nicht zu erzählen, so sicher und gewandt, wie er die Schere in der Hand hält und meine Haare über die Rundbürste zieht. Aber stopp, soweit sind wir noch nicht. Nachdem mir Abdulbarri den Mantel abgenommen und mich zu meinem Platz geführt hat, stellt er jene Frage, die immer am Beginn eines Friseurbesuchs zu beantworten ist: „Was kann ich für Sie tun?“

Meine feinen glatten Haare in eine üppige Lockenmähne mit maximalem Halt und dauerhaftem Volumen verwandeln vielleicht? Nein, das kann leider niemand, auch Abdulbarri nicht. Also einigen wir uns auf die Frisur, die ich schon seit Ewigkeiten trage und die schon vor Wochen hätte nachgeschnitten werden müssen: Schulterlang und durchgestuft, um vielleicht wenigstens ein bisschen Bewegung und Fülle in meine Haare zu bringen.

Abdulbarri geleitet mich zu den Waschbecken. Auch hier ist viel los, drei von fünf Plätzen sind besetzt, Wasser rauscht und verschwindet leise gurgelnd in den Abflüssen, darüber wehen Gesprächsfetzen durch den Raum. „Passt die Temperatur so?“ Kaum verstehe ich die Frage, aber weil auch sie zum Standardrepertoire der Friseur:innen gehört, erahne ich, was der Lehrling gesagt hat, und wünsche mir das Wasser ein bisschen kälter. Und bitte nur einmal shampoonieren, das reicht. Und dann bitte – gar nichts mehr. Wer hat eigentlich die Kopfmassage erfunden und veranlasst, dass sie Teil des Friseurbesuchs wird? Herrlich. Und der Druck passt so, Danke. Träge gleitet mein Blick aus dem Fenster hinaus und verliert sich im blassen Himmel über den Hochhäusern gegenüber.

Aber ich muss zurück, zurück in das Friseurstudio, zurück an meinen Platz. Abdulbarri legt mir einen Umhang und sich selbst eine Werkzeugtasche um, in der ein Gewirr aus Scheren, Kämmen, Klemmen und Bürsten steckt. Jetzt schaut er, der ganz in Schwarz gekleidet ist, noch professioneller aus. Er zieht mir mit dem Kamm einen schnurgeraden Mittelscheitel und zwirbelt die Haare rechts und links davon zu kleinen Schnecken, die er mit Klemmen feststeckt. Bevor er die Schere ihr unkorrigierbares Werk tun lässt, fragt Abdulbarri noch einmal nach, wie kurz die Haare denn nun wirklich werden sollen. Dann setzt er beherzt den ersten Schnitt. Während ich ihm im Spiegel zuschaue, wie er Partie für Partie meiner Haare aus den Klemmen löst und kürzt, gehe ich in jenen Standby-Modus, in den ich bei jedem Friseurbesuch verfalle. Einfach dasitzen und nichts tun, anwesend sein und irgendwie doch ganz woanders.

„Am Hinterkopf mehr stufen?“ Abdulbarris Frage versetzt mich abrupt in den Betriebszustand. Eine Antwort weiß ich trotzdem nicht. Wir einigen uns darauf zu tun, was der Lehrling für das Beste hält. „Brauchen Sie Hilfe, Abdulbarri?“, fragt Melanie Göltl. Die Frau mit den beneidenswerten blonden Locken, die gerade vorbeikommt, ist jene Trainerin, die ihn in den vergangenen Jahren auf seinem Weg zum Friseur begleitet hat. „Nein, brauchen Sie nicht. Er kann das“, beantwortet sie sich ihre Frage gleich selbst. Zehn von den zwölf Lehrlingen aus ihrer Gruppe haben die Lehrabschlussprüfung bereits bestanden, und Abdulbarri und ein anderer Lehrling, die später dazugestoßen sind, werden sie auch noch bestehen, da ist sich Melanie Göltl sicher. „Ich bin echt stolz auf diese Gruppe – und traurig, dass wir uns trennen müssen.“ Ein Erinnerungsfoto und eine Feier sollen den Abschiedsschmerz ein wenig lindern.

Abdulbarri ist jetzt fertig mit dem Schneiden und greift zum Schaumfestiger. „Nehmen Sie lieber den anderen“, rät jetzt doch die Ausbildnerin, „den hier würde ich nicht nehmen, der ist zu weich für die Haare.“ Stimmt, ohne extrastarken Festiger und extraviel Haarspray ist noch nicht einmal jene Minimalfrisur möglich, wie ich sie trage. Nachdem mir Abdulbarri die Haare über eine Rundbürste trocken geföhnt hat, verschwinde ich kurz im Sprühnebel. Im Friseurstudio ist mittlerweile Ruhe eingekehrt, die Föhns sind verstummt, das Wasser bleibt in der Leitung. „Haben Sie noch einen Wunsch?“ Nein, Danke, alle sind zufrieden: Die Frisierköpfe tragen klaglos die Dauerwellwickler, die ihnen fleißige Lehrlinge stramm ins Haar gedreht haben, und ich bin froh, dass ich auf so angenehme Weise zu einem sehr guten Haarschnitt gekommen bin. Und dass ich etwas von der Wärme, die mir der Föhn auf den Kopf geblasen hat, mit hinausnehmen kann in die kalte Winterluft vor den Türen des ipcenters.

 

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