„Herrenschnitte kann ich schon ganz gut“
Nur ein paar Schritte sind es vom betriebsamen Bahnhof Meidling zur Wurmbstraße, die mit ihren kleinen Geschäftslokalen hinter Bäumen und Rasenflächen überraschend beschaulich ist. In Nachbarschaft zu einem türkischen Obst- und Gemüsegeschäft, dessen Fassade mit der Inschrift „Milch Feinkost” an vergangene Zeiten erinnert, liegt der Friseursalon „Hairstyle am Europlatz”. Auch hinter seiner Tür lebt bei aller Modernität der Ausstattung noch manche Tradition weiter. „Ich komme ja aus der Generation Dauerwelle”, verrät die 1967 geborene Inhaberin Vesna Kriebaum, die ihre Haare selbst zwar glatt trägt, sich aber freut, dass gelocktes Haar wie schon in den 1980er Jahren wieder im Trend liegt, und zwar nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern.
Lehrling Aykut Karabas ist mittlerweile ebenfalls schon zum Experten für die richtige Welle geworden. Die Grundkenntnisse dafür hat er aus dem ipcenter mitgebracht, wo er seine Lehre zum Friseur im Rahmen der Überbetrieblichen Ausbildung, kurz ÜBA, begonnen hat. Dabei können junge Menschen, die keinen Lehrplatz in einem Betrieb gefunden haben, verschiedene Berufe in Bildungsinstituten wie dem ipcenter erlernen. Finanziert werden die Ausbildungen von AMS und WAFF.
Ursprünglich habe er Bürokaufmann werden wollen, aber die Tätigkeit sei ihm zu monoton gewesen, erzählt Aykut. Deshalb habe er die Ausbildung im 2. Lehrjahr abgebrochen: „Mir fehlte das Kreative.” Sein Vater habe dann gemeint, er solle doch Friseur werden. Über das AMS kam Aykut zum ipcenter, wo er seine Ausbildung begonnen und schnell gemerkt hat, dass er sich in diesem Beruf zu Hause fühlt. Im April 2022 öffnete Aykut zum ersten Mal die Tür des Friseursalons von Vesna Kriebaum. Nach ein paar Wochen Praktikum war beiden klar, dass Aykut seine Lehrzeit bei „Hairstyle am Europlatz” fortsetzen sollte.
Die Inhaberin von Hairstyle am Europlatz, Vesna Kriebaum, im Gespräch.
Eine Entscheidung, die sich als gut herausgestellt hat. Im 2. Lehrjahr macht Aykut schon fast alles selbstständig. „Er schneidet, er färbt, er macht Strähnchen”, zählt seine Chefin auf und ist damit noch lange nicht am Ende der Liste angekommen. Wenn Aykut morgens der Erste bei der Arbeit ist, sperrt er das Geschäft auf, holt die Zeitungen herein, macht Registrierkasse und Kaffeemaschine bereit und räumt die gewaschenen Handtücher ins Regal. „Er sieht die Arbeit, was nicht selbstverständlich bei den Jugendlichen seiner Generation ist”, lobt die Chefin. Mit seiner ruhigen Art komme der 20-Jährige zudem sehr gut bei den Kund:innen an.
Nicht dauergewellt, sondern gefärbt werden heute die Haare von Hermine Kubicka. „Mit Blondshampoo durchwaschen?”, fragt Aykut seine Kollegin Desiree Jagersberger, während er hinter dem Waschbecken steht und die Farbe von Hermine Kubickas Haaren spült. “Ja, ich denke schon. Oder, Frau Susi?” Fragend sieht sie hinüber zu ihrer Chefin, die diese Anrede aus ihrer Anfangszeit als Friseurin mitgebracht hat, also noch bevor sie 2007 ihr Geschäft in Wien-Meidling eröffnete. „Das mit den Spitznamen ist bei uns Friseuren so üblich”, erklärt Desiree Jagersberger. Auch Lehrling Aykut hört hier in der Wurmbstraße auf den Namen Alex. „Ich konnte mir seinen Namen am Anfang einfach nicht merken, deshalb habe ich immer ,Alex’ gesagt”, sagt Vesna Kriebaum alias Frau Susi.
Die Haare von Kundin Hermine Kubicka werden nur gefärbt, nicht dauergewellt.
Ob Aykut oder Alex, der 20-Jährige sei in dem Dreivierteljahr, in dem er jetzt im Friseursalon arbeitet, schon viel sicherer, selbstbewusster und selbstständiger geworden, hat seine Kollegin Desiree beobachtet. „Herrenschnitte kann ich schon ganz gut, bin ja selbst ein Herr”, stellt Aykut fest. „Und auch mit Kindern und Jugendlichen tue ich mir leicht. Aber Damenschnitte sind für mich persönlich schwieriger.” Damit der Lehrling auch auf diesem Gebiet noch zum Experten wird, schaut er nicht nur Vesna Kriebaum und Desiree Jagersberger auf die Finger, sondern besucht auch immer wieder die Berufsschule.
„Wenn Aykut in der Schule ist, bekomme ich vom ipcenter einen Lehrling als Ersatz. Die Zusammenarbeit funktioniert hervorragend”, sagt die Chefin, die vor einigen Jahren durch einen ehemaligen Mitarbeiter auf die Möglichkeit der Kooperation mit dem ipcenter aufmerksam wurde. Dass sie sich in seinem Fall sehr bewährt, sieht man auch daran, dass Aykut am Weltfrauentag zwei Rosen mit zur Arbeit gebracht hat – als kleines Dankeschön dafür, dass ihm seine Chefin und seine Kollegin nicht nur handwerkliches Können, sondern auch eine wichtige Erkenntnis vermittelt haben: „Friseur ist der richtige Beruf für mich.“
Die zwei Rosen zum Weltfrauentag von Aykut schmücken den Empfangsbereich.
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