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Mit Bewegung Gehirne zum Laufen bringen

Sport zu machen und sich ausgewogen zu ernähren sind nicht nur Teil eines gesunden Lebensstils, sondern lassen uns auch besser denken und lernen. „Durch körperliche Aktivität werden vermehrt Botenstoffe wie BDNF, VEGF und Dopamin freigesetzt, die sich positiv auf die Bildung von Synapsen im Gehirn auswirken. So kommt es neben der Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit auch zu einer Verbesserung im Bereich der exekutiven Funktionen und der kognitiven Fähigkeiten“, hat Christoph Rindler in seiner Diplomarbeit am Institut für Sportwissenschaften der Universität Graz herausgefunden. Dabei verbessere nicht nur langfristiges Sporttreiben, sondern sogar schon eine kurze Bewegungsintervention von rund zehn Minuten sämtliche Gehirnfunktionen.

In Wien wurde eigens ein Verein Bewegtes Lernen zur Gesundheitsförderung in Volksschulen gegründet. Doch wie sieht es bei Erwachsenen aus? Lernen sie am besten Deutsch, Englisch oder Rechnen, indem sie stundenlang still an den Tischen in ihrem Kursraum sitzen? Oder profitieren auch sie vom Lernen in und mit Bewegung? Wir haben ipcenter-Trainer:innen gefragt, welche Erfahrungen sie mit bewegtem Lernen gemacht haben und auf welche Weise sie die Gehirne ihrer Gruppen zum Laufen bringen.

Christine Schwab, Deutschtrainerin: Bei Laufdiktaten, bei denen ein Text an einer Wand aufgehängt wird und die Teilnehmenden hin und her gehen müssen, um ihn lesen und dann an ihrem Platz aufschreiben zu können, arbeiten alle im jeweils eigenen Tempo. Das ist gerade bei unseren oft heterogenen Deutschgruppen ein wichtiger Faktor. Durch die Bewegung können sich die Teilnehmenden auch viel länger konzentrieren, als wenn wir nur Schreibübungen im Arbeitsbuch machen würden. Positionswechsel wie zum Beispiel bei Partner- oder Gruppenübungen, bei denen der Sitzplatz verlassen wird, sorgen generell für Abwechslung und erhöhen die Aufmerksamkeit: Wenn Plakate mit wichtigen Informationen an unterschiedlichen Orten im Kursraum platziert werden, lassen sie sich in Pausen oder beim Kommen und Gehen immer wieder in Erinnerung rufen.

Viele Teilnehmende kommen gern an der Tafel, um dort etwas zu schreiben, was eine besondere motorische Herausforderung ist und enorm aktiviert. Gern arbeite ich auch mit einem kleinen weichen Ball, den ich den Teilnehmenden zuwerfe. Wer ihn fängt, kann sprechen bzw. die Frage beantworten. Weil alle ständig darauf gefasst sein müssen, an die Reihe zu kommen, ist die Aufmerksamkeit dabei sehr hoch.

Auch für das selbstständige Lernen zu Hause empfehle ich den Teilnehmenden Bewegung. Mit einem Podcast auf Deutsch im Ohr spazieren zu gehen oder bei der Hausarbeit deutschsprachige Musik zu hören sind sehr einfache Methoden, um seinen Wortschatz zu erweitern und die Sprache flüssiger zu machen.

Englischtrainerin Dzenita JoldicDzenita „Jenny“ Joldic, Englischtrainerin: Bewegung sollte wann immer möglich in den Lernprozess integriert werden. Wenn sich die Lernenden im Raum bewegen, werden sie körperlich und geistig aktiviert, sind stärker in den Lernprozess eingebunden und daher eher bereit, den Unterrichtsstoff aufzunehmen. Eine der Aktivitäten, die viel Spaß machen, ist „The Gallery Exhibition“. Ich bitte die Teilnehmenden, zu Hause einen Text auf ein Blatt Papier zu schreiben, zum Beispiel eine E-Mail, eine Geschichte oder einen Bericht. Die fertigen Werke werden wie Gemälde in einer Ausstellung im Kursraum aufgehängt. Dann lesen die Teilnehmenden in Zweiergruppen die Texte, diskutieren darüber, korrigieren sie mit Hilfe eines Stifts und berichten anschließend über die häufigsten Fehler. Die Teilnehmenden lernen dabei Grammatik und Wortschatz und lösen sich von ihren üblichen Rollen im Kurs, indem sie sich durch den Raum bewegen. Ihre neue Rolle als Autoritätsperson stärkt das Selbstvertrauen und die Motivation.

Bei „People Memory“ übernehmen Menschen die Funktion der Spielkarten; ansonsten sind die Regeln aber wie beim klassischen Memory. Je zwei Teilnehmende bilden ein Paar, das ein Wort mit gleicher Bedeutung auswählt. Zum Beispiel ist eine Person „das Buch“ und die andere „the book“. Dann teilt sich das Paar und jede Person sucht sich einen Platz im Raum. Nun werden zwei Teilnehmende hereingebeten, die den Raum zuvor verlassen haben. Diese beiden gehen nun durch den Raum und fragen immer zwei Personen nach ihren Wörtern. Wer ein Paar findet, bekommt einen Punkt, dann wird das Paar aus dem Spiel genommen und der:die Spieler:in darf es noch einmal versuchen. Sonst ist der:die zweite Spieler:in an der Reihe. Wer die meisten Paare findet, gewinnt.

Bei „Blue Sofa“ kommt eine Person nach vorn und nennt ein Wort. Die anderen Teilnehmenden denken sich Wörter aus, die vor oder hinter diesem Wort stehen könnten. Je nachdem stellen sie sich rechts oder links von der ersten Person auf, so dass am Ende drei oder vier Personen bzw. Wörter in einer Reihe stehen. Die erste Person wählt das Wort aus, das ihr am besten gefällt. Dessen Urheber:in schlägt nun das nächste Wort vor, mit dem das Spiel von neuem beginnt.

Andrea Herzog, Deutschtrainerin: Wenn ich in meinen Deutschkursen den Imperativ mit „Sie“ durchnehme, verbinde ich das mit einfachen Yogaübungen. Ich lasse die Teilnehmenden aufstehen und bitte sie zum Beispiel: „Kreisen Sie die Schultern“ oder „Kreisen Sie die Fußgelenke“. Diese gehörten und in Bewegung umgesetzten Aufforderungssätze schreiben wir auf und formen sie dann in den informellen Imperativ um, der viel schwieriger zu lernen ist. Am Ende drehen wir das Ganze um, indem ich als Lehrerin zur Marionette werde, die die Aufforderungen der Teilnehmenden in die passenden Bewegungen umsetzt – allerdings nur, wenn der Imperativ grammatisch korrekt gebildet wird, sonst rühre ich mich nicht!

Trainerin Manuela SteinerManuela Steiner, Trainerin überbetriebliche Ausbildung Friseur:in (Stylist:in): Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass ich bei längerem Sitzen müde und unkonzentriert werde und dass es hilft, zwischendurch aufzustehen und Arbeiten im Stehen zu erledigen. Deshalb baue ich solche Aktivitäten auch gern in meinen Unterricht ein. Bei dem Spiel „Man muss leise sein und gut aufpassen“ stehen die Lehrlinge hintereinander an einem Flipchart. Eine:r bekommt ein Kärtchen mit einer Form wie Quadrat, Dreieck, Herz oder Kreis. Diese Form muss er mit dem Finger auf den Rücken des vor ihm stehenden Lehrlings malen. Dieser wiederum zeichnet das, was er auf dem Rücken fühlt, mit einem Stift auf den Flipchart-Block. Ziel ist es, leise zu sein und sich gut zu konzentrieren.

Auch bei der Vorbereitung auf die Tests in der Berufsschule lasse ich die Lehrlinge oft in einer Reihe hintereinanderstehen, und zwar in zwei Gruppen. Dem ersten Lehrling von Gruppe A wird eine Frage gestellt. Wenn er sie richtig beantwortet, bekommt seine Gruppe einen Punkt; wenn nicht, hat die andere Gruppe Gelegenheit, sich den Punkt zu holen. Dann stellt sich der erste Lehrling hinten an und der nächste ist dran. Neulich hat sich eine Gruppe nach so einer Lerneinheit bei mir bedankt und mir gesagt, dass ihr das Lernen im Stehen Spaß gemacht habe. Ob Lehrlinge den Unterrichtsstoff verstanden haben, lässt sich auch gut durch einen Rollenwechsel testen: Die Lehrperson setzt sich hin, während ein Lehrling nach vorn geht und ein Thema, das ihm vorgegeben wird, unterrichten muss.

Wenn ich merke, dass Konzentration und Motivation im Unterricht nachlassen, gehe ich mit den Lehrlingen eine Runde um den Häuserblock, natürlich ohne Handy! Frische Luft zu schnappen, um den Kopf freizubekommen, wirkt oft Wunder. Ausflüge kommen natürlich auch immer gut an. Was wir leider nicht machen können, obwohl es die Konzentration und Motivation der Lehrlinge sehr fördern würde, ist ein halb- bis einstündiges Fitnesstraining. Ein Fitnessraum wäre super!

Sebastian Costin, Deutschtrainer: Manchmal spielen wir eine Art „Was ist das?-Spiel“, bei dem Teilnehmende nach vorn kommen und vor der Klasse versuchen, einen ihnen bekannten Begriff den anderen Teilnehmenden zu erklären, ohne dass sie dabei bestimmte naheliegende Wörter verwenden dürfen. Dabei können sie den Begriff statt mit Worten auch pantomimisch, also mit Gebärden, Gestik und Mimik darstellen. Dieses Spiel fördert die Ausdrucksweise, den Wortschatz und die Kreativität – und es bringt wieder Leben in die Gruppe, wenn mal wieder zu viel Grammatik auf dem Lehrplan stand!

Ob am Platz, quer durch den Raum oder draußen, ob pantomimisch oder zusammen mit Sprechen und Schreiben, ob jede:r für sich oder alle gemeinsam: Klar geworden ist, dass uns jede Form von Bewegung aktiviert und mit dem Körper auch den Geist zum Laufen bringt – und dass es für jede Art von Gruppe die passenden Aktivitäten gibt. Wenn Sie selbst als Trainer:in arbeiten und weitere tolle Bewegungsübungen haben, dann (be)schreiben Sie uns gern unter office@ipcenter.at, wie Sie Ihre Gruppen motivieren!

 

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