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Als Pflegefachkraft von Tunis nach Tirol

Haithem Ali aus Tunesien ist eine jener Fachkräfte, die mit ihrer Expertise dem österreichweiten Mangel in vielen Berufen entgegenwirken können. Der 32-Jährige hat in Tunis ein Bachelorstudium am Hochschulinstitut für Krankenpflegewissenschaft absolviert und danach fast zehn Jahre lang in der Notfallmedizin eines Krankenhauses gearbeitet. Weil er trotz seiner hochwertigen Ausbildung in Tunesien nur ein niedriges Gehalt bekommt, hat er neben seiner Arbeit am Goethe-Institut fleißig Deutsch gelernt. Mit seinem B2-Zertifikat erfüllt er jetzt eine der Voraussetzungen für eine Tätigkeit in Österreich. Weitere Hürden, die genommen werden müssen, sind zum Beispiel die Nostrifikation, also die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen, und die Arbeitsvermittlung.

Unterstützung auf ihrem Weg nach Österreich bekommen ausländische Fachkräfte vom ipcenter. Mitarbeiter Adam Stipe-Vukovic hat Haithem Ali am Flughafen Innsbruck in Empfang genommen und ihn auf den ersten Schritten in seine neue Lebens- und Arbeitswelt begleitet.

Montag, 22. Jänner 2024

Haithem hat eine lange Reise mit siebeneinhalb Stunden Zwischenstopp in Frankfurt am Main hinter sich, als wir uns am Flughafen Innsbruck das erste Mal persönlich treffen. Weil wir uns schon von Teams-Meetings kennen, ist unsere erste Begegnung so freundschaftlich, als würde ich einen langjährigen Bekannten abholen. Mit drei Koffern und zwei Rucksäcken ist Haithem schwer beladen. Im Gepäck hat er etliche Mitbringsel, vor allem Baklava und andere Spezialitäten aus Tunis.

Es ist Haithems erste Reise außerhalb Tunesiens, für ihn ist alles neu hier, der Kontinent, das Land, und die von mächtigen Bergen umringte Stadt. Angesichts der imposanten Kulisse fühlt Haithem sich ein bisschen wie im Urlaub, doch er wird hier leben und arbeiten. Dafür hat er nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich die besten Voraussetzungen. Ebenso wie sein Deutsch, das er mit leichtem französischem Akzent spricht, ist auch sein Englisch sehr gut.

Ich begleite ihn in das private Pflegeheim, in dem er künftig arbeiten wird. In der „Vitality Residenz Veldidenapark”, die aus zwei Gebäuden besteht, bezieht Haithem ein gut ausgestattetes Zimmer mit Dusche, WC und Terrasse. Es gibt ein Bett, einen Tisch mit Sesseln und einen Fernseher, und auch Frühstück kann Haithem in der Residenz bekommen. „Wohnt dort ein Minister?“, fragt er, als er das Gebäude gegenüber sieht, denn in so einer Art von Architektur würden in seiner Heimat meist Politiker:innen leben. Ich erkläre ihm, dass es ein für Innsbruck typisches Gebäude sei.

Nachdem wir ihm ein Handy und eine Telefonkarte besorgt haben, packt Haithem seine Sachen aus und richtet sich ein. Wir bereiten seine Dokumente vor, die er für die Behördengänge in den nächsten Tagen braucht, und gehen den Zeitplan für die Woche durch.

Dienstag, 23. Jänner 2024

Unser Tag beginnt zeitig: Um 7.30 Uhr gehen wir zum Rathaus, zuerst ins Meldeamt, und bereits eine halbe Stunde später stellen wir den Antrag auf die Rot-Weiß-Rot-Karte für Mangelberufe. Sie berechtigt Drittstaatsangehörige, zu denen Haithem als Tunesier gehört, nach der Nostrifizierung zur befristeten Niederlassung und Ausübung einer Beschäftigung in ganz Österreich. Nachdem Haithem für die Karte, die zwei Jahre lang gültig ist, seine Fingerabdrücke abgegeben hat, machen wir uns auf dem Weg zur Bank, wo wir ihm ein österreichisches Konto inklusive E-Banking einrichten. An einem Bankomaten lernt Haithem gleich, wie er Geld abheben kann. Ehrgeizig, wie er ist, trainiert er auch sofort den Umgang mit seiner Bank-App.

Es bleibt nur noch Zeit für ein bisschen Sightseeing, einen Besuch im Einkaufscenter und ein Kebab. Um sich schneller in den Straßen und Gassen zurechtzufinden, gebe ich Haithem den Tipp, sich Schilder laut vorzulesen und die für ihn schwierigen Namen auf diese Weise zu lernen. Am frühen Nachmittag finden wir uns bei der Polizei ein, denn für die Eintragung ins Gesundheitsberuferegister (GBR), die morgen ansteht, braucht Haithem einen österreichischen Strafregisterauszug. Danach geht’s zurück zur Residenz, wo Haithem bei einer Führung unter anderem erfährt, wo der Frühstücksraum ist und wo er seine Bettwäsche abgeben kann. Im Anschluss setzen wir uns erst einmal hin, ordnen die Dokumente und fixieren die nächsten Termine. Zum Abschluss des Tages gibt‘s einen chinesischen Imbiss, denn Haithem probiert gern neue Sachen, die er aus Tunesien nicht kennt.

Mittwoch, 24. Jänner 2024

Nach dem Frühstück in der Residenz führt uns eine Mitarbeiterin durch den Fachbereich, wo Haithem die Bewohner:innen und seinen Einarbeitungsplan kennenlernt. Außerdem wird über Urlaubstage und Arbeitszeiten, die zu seiner Fastenzeit passen, gesprochen. Um 14 Uhr haben wir bei der Arbeiterkammer Tirol den Termin zur Gesundheitsberuferegistrierung. Er dauert drei Stunden, denn für die GBR-Karte müssen die Dokumente im Original eingepflegt werden.  

Auf dem Rückweg stoppen wir in einem Elektronikfachmarkt, weil Haithem für die Reinigung seiner Unterkunft einen Staubsauger braucht. Die Zeit reicht noch für einen kurzen Blick auf das Goldene Dachl, das Haithem von seinen Innsbruck-Besuchen mit Google Street View kennt. Gut schmeckt ihm das chinesische Gericht, das wir uns zum Abendessen holen. Künftig kann Haithem zu Mittag und zu Abend in der Residenz essen oder sich selbst etwas in der Personalküche kochen. Neu für ihn ist, dass er im Supermarkt ein Wagerl mit einer Pfandmünze bekommt.

 

Donnerstag, 25. Jänner 2024

Wir frühstücken wieder gemeinsam, bereiten die weiteren Termine vor und schreiben eine Einkaufsliste, denn bis zu seinem ersten Arbeitstag muss Haithem noch viel besorgen. Außerdem stellen wir zusammen, welche Sehenswürdigkeiten es in Innsbruck noch zu entdecken gibt und wo die Moschee ist. Alle Listen befestigt Haithem an der Pinnwand, die in seinem Zimmer hängt.

Weil mein Zug nach Wien um 14.30 Uhr abfährt, gehen wir um 13.30 Uhr zum Bahnhof, wo wir das letzte Mal gemeinsam essen. Haithem probiert Chicken Wings mit Pommes frites. Ich lasse den wissbegierigen und engagierten Tunesier mit einem guten Gefühl zurück, auch wenn ihm seine ersten drei Tage in Innsbruck wie 3-D-Kino vorgekommen sind und er all die Eindrücke erst verarbeiten muss. Glücklicherweise hat er noch ein paar Tage Zeit sich einzuleben, denn sein erster Arbeitstag ist erst am 1. Februar.

Mittlerweile hat Haithem nicht nur begonnen zu arbeiten, wobei ihm eine Mentorin der Seniorenresidenz zur Seite steht. Er hat auch für die Pflege wichtige Fachbegriffe auf Deutsch gelernt und versteht den Tiroler Dialekt, der ihm am Anfang Schwierigkeiten bereitet hat, bereits viel besser. Dabei haben ihm die Stadtbibliothek, von deren Bestand er begeistert ist, und das Sprachencafé „Tandem” geholfen, das Haithem jeden Dienstagabend besucht und wo er auch schon Freunde gefunden hat – ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Integration.